„Un sage est sans idée“. (‚Der Weise hängt an keiner Idee‘). Unter diesem Titel hat der französische Philosoph und Sinologe François Jullien einmal ein Buch veröffentlicht, in dem er einen wesentlichen Strom chinesischer Philosophie beschreibt, einer Philosophie, die sich nie an den Versuch der Ontologie und eines Begriffssystems gemacht hat. Diese Philosophie richtet sich vielmehr auf Unvoreingenommenheit, auf die ‚Weisheit‘, die sich nicht auf eine kodifizierende Wahrheitssuche begibt und sich vor bestimmenden Ideen hütet. Der Weise bleibt offen für alle Erfahrungen.

Das abendländische Denken ist der Suche nach Wahrheitsgebäuden, nach philosophischen Systemen verfallen, akzentuiert durch die Unterscheidung zwischen uns Menschen und dem Anderen, der Natur, die wir uns untertan machen sollen. Dennoch finden sich auch im abendländischen Denken Unterströme dieses weisen Denkens: Meister Eckardt, Montaigne, Henri Bergson und auch unabhängige Geister wie Leonardo da Vinci, wie dieses schöne Zitat zeigt. Vielleicht ist nun endlich die Zeit einer kritischen Rückbesinnung auf den jüdisch-christlichen Fehlschritt im Denken über ‚Gott und die Welt‘ mit all seinen Folgen angebrochen…